B. Gerber: Die antirassistische Bewegung in der Schweiz

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Titel
Die antirassistische Bewegung in der Schweiz. Organisationen, Netzwerke und Aktionen.


Autor(en)
Gerber:, Brigitta
Reihe
Sozialer Zusammenhalt und kultureller Pluralismus
Erschienen
Zürich 2003: Seismo Verlag
Anzahl Seiten
522 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christina Späti, Seminar für Zeitgeschichte Universität Freiburg/Schweiz Rue de l'hôpital 3 CH-1700 Freiburg Schweiz

Obwohl es mehrere Studien zu den neuen sozialen Bewegungen in der Schweiz gibt, ist der antirassistischen Bewegung bislang kaum Beachtung ge - schenkt worden. Brigitta Gerber schliesst mit ihrer gut dokumentierten Studie diese Forschungslücke.

Im ersten Teil werden theoretische Grundlagen für das Verständnis und die Einordnung der antirassistischen Bewegung präsentiert. Dabei geht es einerseits um die Diskussionen um Rassismus, Neorassismus und Antirassismus, wobei auch bereits existierende Studien zu antirassistischen Bewegungen in anderen europäi - schen Ländern vorgestellt werden. Andererseits ordnet die Autorin die antirassi - stische Bewegung den sozialen Bewegungen zu, woraus sich eine Vielzahl von Forschungsfragen nach Akteuren, Identitäten der Akteure und Aktionsebenen ergibt. In die Untersuchung einbezogen wurden aus dem weiteren Kreis von Gruppen, die sich mit Ausländer-, Asyl-, Einwanderungspolitik etc. beschäftigen, jene Organisationen, deren Zweck und oberstes Ziel die Bekämpfung von Rassismus in der Schweiz ist. Ausführlich legt Gerber sodann ihr methodisches Vorge - hen dar, wobei sich am Anfang angesichts der Neuheit des Forschungsfelds die Schwierigkeit der Erfassung von antirassistischen Gruppierungen ergab. Als explorativer Einstieg wurden verschiedene Karteien institutionalisierter Organisationen ausgewertet, woraus eine Liste von antirassistischen Gruppen, die sich selber als solche deklarierten, erstellt werden konnte. Danach dienten der Autorin als eigentliche Quellen einerseits schriftliches Material aus den Publikationen und Archiven der untersuchten Organisationen, andererseits 53 Interviews mit auf verschiedenen Ebenen in antirassistischen Gruppen involvierten Akteuren.

Der zweite Teil widmet sich dem zeitgeschichtlichen Kontext. Dabei werden als zeitliche Vorläufer insbesondere die Überfremdungsbewegung und deren Gegenbewegung in der Schweiz dargestellt. Zweitens wird in diesem Teil die 1995 eingeführte Antirassismus-Strafnorm als gesetzliche Institutionalisierung der Rassismusbekämpfung vorgestellt. Deren Einführung war nicht nur Anlass für Gründungen antirassistischer Organisationen, wie des Comité romand Oui à la loi contre le racisme, aus dem später die Association romande contre le racisme (ACOR) hervorging, sondern stellte auch einen wichtigen Mobilisierungsfaktor für weitere bereits bestehende Gruppierungen dar.

Im dritten Teil werden die in die Untersuchung einbezogenen antirassistischen Gruppierungen anhand einer Typologie präsentiert. Die Typologie fusst einerseits auf einer räumlichen Einteilung, indem zwischen national, regional und lokal agierenden Gruppen unterschieden wird. Andererseits spielt auch die zeitliche Dimension eine Rolle, insofern als zwischen in den sechziger und siebziger Jahren entstandenen Gruppen und solchen, deren Entstehung in die achtziger und neunziger Jahre fällt, differenziert wird. Durch die erstmalige Erfassung und Präsentation einer Vielzahl von antirassistischen Akteuren in der Schweiz kommt diesem Teil des Werks der Charakter eines Handbuchs zu. Zudem hebt sich Gerbers Studie positiv von anderen Untersuchungen zu neuen sozialen Bewegungen ab, indem nicht nur strukturellen Merkmalen wie Aktionsebenen und Organisations - strukturen Rechnung getragen wird, sondern auch ein Schwerpunkt auf die inhaltliche Auseinandersetzung innerhalb der Gruppen mit den Themen Rassismus und Antirassismus gelegt wird.

Diesem Aspekt kommt insbesondere im vierten Teil erhebliches Gewicht zu, in dem die Autorin vor allem anhand der Interviews mit den Akteuren und Akteurinnen deren Definition von Rassismus, Einschätzung des Aufkommens der Bedeutung von Rassismus sowie deren Beurteilung ihres Aktionsrepertoires und ihrer Motivation für antirassistische Arbeit analysiert. Gewisse Redundanzen zwi - schen dem dritten und vierten Teil sind bei dieser Vorgehensweise unvermeidlich. Interessanterweise kommt die Autorin etwa in Bezug auf die Definition von Rassismus, mit der innerhalb der antirassistischen Gruppen gearbeitet wurde, zum Schluss, dass dieser Begriff erst im Laufe der achtziger Jahre Eingang in den schweizerischen Diskurs fand. Ausserdem gaben sich antirassistische Gruppen oftmals mit einer nur vagen Definition von Rassismus bzw. Antirassismus zufrieden, dies häufig, um die gemeinsame Handlungsfähigkeit nicht zu gefährden.

Ebenfalls von Interesse ist die Frage nach dem Antisemitismus. Dieser wurde zwar bereits in den siebziger Jahren von einigen antirassistischen Akteuren thematisiert, doch offenbar in erster Linie als historisches Phänomen, indem die Judenfeindlichkeit der dreissiger und vierziger Jahre mit der Fremdenfeindlichkeit der sechziger und siebziger Jahre verglichen wurde. Allgemein waren sich verschiedene Akteure einig, dass Antisemitismus allein nicht auf Interesse stiess, sondern stets mit Rassismus gekoppelt werden musste, um in der Gesellschaft auf Resonanz zu stossen.

Aufschlussreich ist auch der Vergleich zwischen der Deutschschweiz und der Westschweiz. In der französischen Schweiz entstanden antirassistische Organisationen unter dem Einfluss Frankreichs früher als in den übrigen Teilen der Schweiz. Innerhalb der antirassistischen Bewegung führt man die späte Einführung des Begriffes «Rassismus» in den gesellschaftlichen Diskurs darauf zurück, dass unter Rassismus in erster Linie ein «Schwarzweiss-Rassismus» verstanden wurde, der aufgrund der fehlenden kolonialen Vergangenheit der Schweiz lange Zeit nicht relevant schien. Stattdessen wurde der Begriff der Fremdenfeindlichkeit verwendet.

Gerbers Studie ist in zweierlei Hinsicht verdienstvoll. Erstens bietet der handbuchmässige dritte Teil einen guten Überblick über die verschiedenen in der Schweiz tätigen antirassistischen Gruppierungen – ein Überblick, der auf einer beträchtlichen empirischen Arbeit beruht und bislang in der Forschungsliteratur völlig gefehlt hat. Zweitens erlaubt der vierte Teil, der sich vor allem auf Gerbers klar deklariertes und überzeugendes Analysemuster der Interviews stützt, einen hoch - interessanten Einblick in die zum Teil selbstkritischen Reflexionen antirassisti - scher Akteure und Akteurinnen über ihre Motivationen, ihr Verständnis von Rassismus und Antirassismus und das Aufkommen dieser Begriffe im schweizeri - schen Diskurs. Diese Reflexionen kontrastiert die Autorin im Fazit mit den theoretischen Grundlagen zu Rassismus und Antirassismus, so dass anschaulich Stärken und Schwächen der antirassistischen Arbeit in der Schweiz zum Vorschein kommen.

Zitierweise:
Christina Späti : Rezension zu: Brigitta Gerber: Die antirassistische Bewegung in der Schweiz. Organisationen, Netzwerke und Aktionen. Zürich, Seismo, 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr.1, 2005, S. 119-120.

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Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr.1, 2005, S. 119-120.

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